Balkonien Variationen!

Chris Pichler: Rezitation, Konzept
Biliana Tzinlikova: Klavier, Musikauswahl

Wer heute eine Wohnung mit Außenfläche hat, kann sich glücklich schätzen, und wenn es nur ein Klopfbalkon, die Verlängerung der Feuerleiter, ein breiter Fenstervorsprung oder eine schwingende Hängematte im Außenfenster ist, nicht alle genießen den Luxus einer großflächigen Balkon-Terrasse. Der Balkon ist ein Zwischenreich: man befindet sich nicht drinnen aber auch nicht richtig draußen. Es ist der Ort der wahren Nachbarschaft und des gesellschaftlichen Lebens geworden, mit allem was dazu gehört und mit allem, was man auch gerne nicht mit bekommen möchte, denn man ist nur durch luftigen Freiraum voneinander getrennt. Der eine telefoniert laut, der andere verbreitet Zigarettenrauch oder Grillgerüche, der dritte belästigt mit tropfenden Blumenkästen, der andere mit lauter Lieblingsmusik, eine sportelt laut keuchend, ein anderer meditiert summend. Man musiziert und singt und rezitiert neuerdings auf ihm, oder macht Ausstellungen und Modeshows, oder lagert nur Essiggemüse und ausrangierte Möbel darauf.
Balkonien ist ein Platz zum Auslüften, zum Abstand finden, zum Träumen, oder eine leistbare Möglichkeit Stay(va)cation zu machen.
In Balkonien Variationen wird der Balkon zur Bühne der Gesellschaft und die Geschichten, die sich darauf und um ihn herum abspielen, sind mal unterhaltsam, mal tragisch, mal anekdotisch, mal weltbewegend, aber allesamt erzählenswert.

Auch die Musikgeschichte weiß davon zu berichten: Tosca stürzt sichvon einer solchen Außenfläche hinab in den Tod und in Frühstück bei Tiffanys erklingt das traurige „Moon River“ von einem kleinen Fensteraustritt. Und flehen nicht, wie bei Schubert, leise die Lieder durch die Nacht zum Balkon hinauf? Meist ist es einfache Musik – aus dem Herzen und an der frischen Luft gesungen – „Arie, Aria, Air…“ Franz Liszt greift diese Lieder auf und verziert sie ornamentreich wie Balustraden oder kunstvoll geschmiedete Balkongitter. George Gershwin und Friedrich Gulda lehnen sich weit über die Geländer des klassischen Balkons, hinaus in den Garten des Jazz um seine zauberhaften Blüten zu pflücken. Jazz sehnt sich nach Klassik und Klassik nach Jazz. Ein eng getanzter bulgarischer Werbetanz wechselt sich ab mit melancholischer Sehnsucht, den Blick gerichtet an die Gestade Venedigs und Neapels, eine rasante Tarantella und inbrünstig vorgetragenen Gesang innerlich hörend.

Die berühmteste Liebeszene spielt auf Julias Balkon. Bei Thomas Bernhard bricht der Balkon gleich mit den Bewohnern hinab, wohingegen in Mann´s Zauberberg die Lungenkranken um ihr Leben kämpfen und Cechov die Lebensmüden sich auf der Terrasse erschießen lässt. Staatstragende Verkündigungen finden von erhabenen Balkonen statt, wie auch das „Habemus Papam“, oder es erschallen dramatische Wortkaskaden und Opernklänge von Theaterbalkonen. Bösewichter oder Liebhaber harren an den Balkongesimsen ihrer Rettung, das Kleinkind hat die Mama im außen ausgesperrt oder ein Verzweifelter flüchtet vorm Wohnhausbrandgeschehen auf das erhöhte Freie.

Es ist Zeit für Geschichten und Musik rings um die erhabenen Austritte vor unseren Fenstern, die wir zu einem Konzertrezital gesammelt haben. Dort trifft Phantasie auf Reales, Literatur auf Musik, Klassisches auf Topaktuelles und gemeinsam schwingen wir uns freiluftige Höhen.

Autoren: Daniel Charms, Thomas Mann, Thomas Bernhard, Rilke, Cechov, Baudelaire, Gerd Jonke, Vladimir Kaminer, Arthur Schnitzler, Wohnungsannoncen, Anekdoten ….
Komponisten: Germaine Tailleferre, Luis Durey, Franz Schubert, George Gershwin, Franz Liszt, Friedrich Gulda, Pantscho Vladigerov